GKV-Finanzierung: Fairness first
Ein Blick auf die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung: Wo die Politik nun handeln muss, um die Beitragszahlerinnen und -zahler nicht weiter zu belasten.
Ein Blick auf die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung: Wo die Politik nun handeln muss, um die Beitragszahlerinnen und -zahler nicht weiter zu belasten.
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Immer wieder stand die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) zuletzt vor Finanzierungslücken. Die Politik muss deshalb endlich langfristige Lösungen für die Finanzierung von Gesundheit finden. Hier ist Fairness gefragt – statt immer neuer Belastungen für Beitragszahlerinnen und -zahler. Politischen Handlungsbedarf gibt es vor allem in fünf Bereichen.
Die Beitragszahlerinnen und -zahler der GKV übernehmen heute an vielen Stellen finanzielle Verantwortung für andere, zum Beispiel indem sie – anstelle des Staats – für gesamtgesellschaftliche, also versicherungsfremde, Aufgaben aufkommen. Gleichzeitig steigt die finanzielle Belastung für sie seit Jahren: Wurde für das Jahr 2015 noch ein durchschnittlicher Zusatzbeitragssatz von 0,9 Prozent festgelegt, so sind es für 2023 1,6 Prozent. Zwar gibt es für die „versicherungsfremden Leistungen“ einen Steuerzuschuss. Doch obwohl die Ausgaben kontinuierlich steigen, liegt dieser reguläre Zuschuss seit 2017 unverändert bei 14,5 Milliarden Euro pro Jahr. Um die Beitragszahlerinnen und -zahler zu entlasten, setzt sich die TK für eine Dynamisierung dieses Zuschusses ein, also dafür, dass dieser mit den Auf- und Ausgaben wächst. Außerdem muss die Solidargemeinschaft endlich auskömmliche Beiträge für die Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld (ehemals Arbeitslosengeld II) vom Staat erhalten: Schätzungen gehen von einem jährlichen Defizit von rund zehn Milliarden Euro aus, weil der Staat – obwohl zuständig – nur etwa ein Drittel dessen zahlt, was notwendig wäre.
Die Ausgaben für Arzneimittel steigen seit Jahren stark an. Kostentreiber sind vor allem neue patentgeschützte Arzneimittel, die zu überhöhten Preisen auf den Markt kommen. Die Ausgaben für diese Medikamente haben sich beim Blick auf die gesamte GKV laut einer TK-Auswertung innerhalb von fünf Jahren fast verdoppelt – von 14,6 Milliarden Euro im Jahr 2018 auf 28 Milliarden Euro im Jahr 2022. Hersteller können die Preise für patentgeschützte Arzneimittel zunächst frei festsetzen, ohne dass transparent ist, wie diese Beträge zustande kommen. Damit neue Arzneimittel für die Versichertengemeinschaft bezahlbar bleiben, muss die Preisfindung fairer gestaltet werden. Eine grundsätzliche Weiterentwicklung des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) ist notwendig – nach dem Grundsatz: Faire Preise für echte Innovationen. Das geht nicht von heute auf morgen. Andere Maßnahmen sind jedoch kurzfristig umsetzbar – wie die längst überfällige Absenkung der Mehrwertsteuer für Arzneimittel auf sieben Prozent.
der Arzneimittelausgaben in der GKV entfielen 2022 laut einer TK-Auswertung auf patentgeschützte Arzneimittel, obwohl sie nur 6 Prozent des Gesamtverbrauchs ausmachten.
Das aktuell größte gesundheitspolitische Projekt ist die Krankenhausreform. Sie soll Klinikstrukturen und -finanzierung modernisieren und stärker am tatsächlichen Bedarf und am Faktor Qualität ausrichten. Durch sinnvolle Aufgabenteilung und Spezialisierung soll die Versorgung besser werden. Gleichzeitig hat die Reform auch mit Blick auf die nachhaltige Finanzierung von Gesundheit große Relevanz: Die Ausgaben für den stationären Bereich machen mit 32,6 Prozent (2021) fast ein Drittel der Leistungsausgaben der Krankenkassen aus. Deshalb müssen die mit der Reform verbundenen Finanzierungsfragen im Sinne von Fairness und klaren Verantwortlichkeiten gelöst und verbindlich umgesetzt werden.
Die Frage der Investitionskosten: Die Reform muss sicherstellen, dass künftig im Rahmen einer dualen Finanzierung die Investitionskosten auskömmlich finanziert werden. Dies ist keine Aufgabe der Beitragszahlerinnen und -zahler. Bislang werden diese aber indirekt belastet, weil die eigentlich zuständigen Bundesländer ihrer Pflicht nur unzureichend nachkommen.
So entsteht Druck auf Kliniken, aus den Einnahmen für die Behandlungskosten, die von den Krankenkassen bezahlt werden, zusätzliche Mittel zu erwirtschaften und sie für Investitionen zu verwenden.
Die Frage der Kostenneutralität: Die geplante Reform der Klinikfinanzierung mit der Einführung einer Vorhaltevergütung steht unter der Prämisse der Kostenneutralität. Damit die Kosten nicht aus dem Ruder laufen, muss sich die Reform am tatsächlichen Bedarf orientieren. Bevor Vorhaltekosten eingeführt werden, ist ein klarer, einheitlicher und konsequenter Plan für Strukturveränderungen notwendig, wobei die Leistungsgruppen eine wichtige Rolle spielen.
Ohne diese Reihenfolge besteht die Gefahr, Strukturen zu festigen, die sich eben nicht am tatsächlichen Bedarf orientieren, etwa regionale Doppelstrukturen.
Fallpauschalen
Seit 2003 erhalten die Krankenhäuser in Deutschland einheitliche Preise für vergleichbare Krankenhausbehandlungen. Diese sogenannten Fallpauschalen (auch DRG) sind unabhängig von der Dauer des Klinikaufenthalts und werden direkt mit den Krankenkassen abgerechnet. Dadurch sollen die laufenden Kosten – etwa für den Betrieb des Hauses, Verbrauchsmaterialien und die Kosten für das ärztliche Personal – abgedeckt werden. Investitionen in Gebäude und medizinische Großgeräte sowie die Kosten für das Pflegepersonal am Bett werden hingegen separat abgerechnet.
Vorhaltevergütung
Künftig soll der Anteil für Vorhaltekosten aus den DRG ausgegliedert werden. Die Kliniken sollen so die finanzielle Sicherheit bekommen, dass ein Teil ihrer Fixkosten – unabhängig von der Zahl der behandelten Patientinnen und Patienten – gedeckt wird. Dabei geht es um Fixkosten, die entstehen, weil Kliniken für die Versorgung der Menschen im Einzugsgebiet notwendige Strukturen bereithalten, beispielsweise spezielle Geräte und erfahrenes Personal.
Zu einer zukunftssicheren Finanzierung von Gesundheit gehört auch Verantwortungsbewusstsein bei den Ausgaben. Krankenkassen sind per Gesetz zu Wirtschaftlichkeit verpflichtet. Schließlich müssen sich die Beitragszahlerinnen und -zahler darauf verlassen können, dass ihr Geld zielgerichtet und verantwortungsvoll eingesetzt wird.
In welchem Maß Krankenkassen wirtschaftlich handeln können, bestimmen die politischen Rahmenbedingungen. Die haben die Möglichkeiten der Krankenkassen allerdings immer weiter eingeschränkt. Beispielsweise dürfen Krankenkassen seit einigen Jahren nur noch in einem begrenzten Umfang Krankenhausrechnungen prüfen. Seit vergangenem Jahr gibt es feste Quoten, wie oft der Medizinische Dienst in die Prüfung eingebunden werden darf. Die liegen zwischen 5 und 15 Prozent. Hier brauchen Krankenkassen wieder mehr Handlungsspielräume. Auch haben sich die Voraussetzungen für Preisverhandlungen für Hilfsmittel entscheidend verändert – in der Folge stiegen die Preise für diese Produkte drastisch an. Die TK setzt sich dafür ein, dass die Rahmenbedingungen im Sinne eines wirtschaftlichen Einsatzes von Beitragsgeldern verändert werden.
Zudem muss sich die Politik die Frage stellen, was die angespannte Finanzierungssituation für neue gesundheitspolitische Projekte bedeutet. Die To-do-Liste aus dem Koalitionsvertrag, die teilweise bereits in Gesetzesinitiativen mündete, ist lang. Darunter auch viele Ideen, die weder in das Aufgabengebiet von Krankenkassen gehören noch die Versorgungslandschaft sinnvoll bereichern, wie etwa der Umbau der Unabhängigen Patientenberatung (UPD) oder die Einrichtung von Gesundheitskiosken.
Bei ihrer Umsetzung darf die finanzielle Verantwortung nicht Nebensache sein, vielmehr müssen zentrale Fragen lauten: Werden damit sinnvolle und notwendige Strukturen gefördert? Und: Wie kann eine faire Finanzierung gelingen?