Der TK-Vorstand im Gespräch

Was bedeutet „Auf Augenhöhe“ für das Gesundheitssystem und die TK? Wie blickt der TK-Vorstand auf die Gesundheitspolitik?

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Ein Gespräch mit Dr. Jens Baas, Thomas Ballast und Karen Walkenhorst über die Bedeutung von Augenhöhe, Veränderungsbereitschaft und drängende Reformen.

Der Geschäftsbericht steht dieses Mal unter dem Titel „Auf Augenhöhe“. Was verbinden Sie damit, wenn Sie an das Gesundheitssystem denken?

Dr. Jens Baas Beim Blick auf den einzelnen Versicherten oder die ein­zelne Versicherte verbinde ich damit die Frage: Was ist nötig, damit sich jede und jeder Einzelne bei Kontak­ten mit dem Gesundheitssystem so weit wie möglich auf Augenhöhe fühlt? Augenhöhe im Sinne von gut gerüstet, um Informationen einzu­ordnen und Entscheidungen für die eigene Gesundheit treffen zu kön­nen. Dafür braucht man beispiels­weise aktuelle, gut zugängliche und strukturierte Informationen sowie Transparenz über Therapieoptionen und Qualitätsunterschiede. An vielen Stellen ist unser Gesundheitssystem hier besser als andere – Versicherte können etwa Arzt oder Ärztin frei wählen. Wir als Krankenkasse haben Angebote wie Zweitmeinungs­programme auf den Weg gebracht. Aber das System kann – und muss – an vielen Stellen noch viel besser werden. Entscheidend sind dabei vor allem die derzeitigen großen Reformthemen: Wie gut wird die Krankenhausreform einheitliche Qualitätsmaßstäbe etab­lieren? Wie viel Mehrwert kann die elektronische Patientenakte den Versicherten bieten? Mit welchen Daten dürfen wir Kassen die Versor­gung verbessern? Bei diesen grund­sätzlichen Fragen kommt es auf die politischen Rahmenbedingungen an.

Thomas Ballast Eine zentrale Stär­ke unseres Gesundheitssystems, die das Prinzip Augenhöhe der Versi­cherten verkörpert, ist zudem die Selbstverwaltung. Die Versicherten sind in den Krankenkassen direkt vertreten und bestimmen so bei zentralen Entscheidungen mit. 2023 ist Wahljahr und bei der TK fand eine Urwahl statt. Zum ersten Mal war das auch online möglich. Eine zu­sätzliche Option, für die wir uns bei der TK schon lange eingesetzt ha­ben. Und auch bei der Selbstverwal­tung kommt es auf die politischen Rahmenbedingungen an, sie müssen dieses so wertvolle Prinzip stützen. Stattdessen haben wir in letzter Zeit gesehen, dass die Entscheidungs­spielräume der Selbstverwaltung eingeschränkt wurden. Das muss sich wieder ändern.

„Sowohl bei der Krankenhausreform als auch bei der Finanzierungsfrage und der Digitalisierung benötigen wir ein Umdenken hin zu dem Leitmotiv: Wie kriegen wir die beste Lösung für die Patientinnen und Patienten hin?“

Dr. Jens Baas, Vorsitzender des Vorstands der TK

„Auch bei der Selbstverwaltung kommt es auf die politischen Rahmenbedingungen an, sie müssen dieses so wertvolle Prinzip stützen. Stattdessen haben wir in letzter Zeit gesehen, dass die Entscheidungsspielräume eingeschränkt wurden.“

Thomas Ballast, stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der TK

Und wenn Sie an die TK denken – welche Rolle spielt die Augenhöhe im Unternehmen?

Karen Walkenhorst Auf Augenhöhe zu kommunizieren, ist ein wesentli­cher Bestandteil unserer Unterneh­menskultur. Wir wollen unseren Kun­dinnen und Kunden, ob persönlich, am Telefon oder digital, auf Augen­höhe begegnen. Deshalb ist es uns auch so wichtig, immer wieder nach den sich verändernden Kundenbedürf­nissen und ­-erwartungen zu fragen. Genauso bedeutend ist Augenhöhe mit Blick auf die Zusammenarbeit in unserem Unternehmen und deshalb ein wichtiger Baustein unseres Füh­rungsbilds in der TK. Und hier gilt ganz genauso: Ich muss als Führungs­kraft die Bedürfnisse meiner Mitar­beitenden kennen, umso mehr in der sich immer schneller wandelnden Ar­beitswelt. Wir sind stolz darauf, dass unsere Mitarbeitenden uns regelmäßig bescheinigen, ein guter und at­traktiver Arbeitgeber zu sein, bei dem offenes Feedback gelebt wird. Aber wir ruhen uns nicht aus und arbeiten weiter an unserer Kultur, um auch für die zukünftigen Generationen als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben.

Karen Walkenhorst, Mitglied des Vorstands der TK

Das Jahr 2022 gilt als Krisenjahr mit vielen Herausforderungen. Wie machte sich das in der TK bemerkbar?

Baas Das mit dem Krieg in der Ukrai­ne verbundene Leid macht weiterhin fassungslos. Viele Menschen haben Zuflucht in Deutschland gesucht und natürlich sollen sie auch medizinisch gut versorgt sein. Uns als TK ist es ein großes Anliegen, die Menschen aus der Ukraine bestmöglich bei al­len Fragen zur Krankenversicherung zu unterstützen und das tun unsere Mitarbeitenden weiterhin mit gro­ßem Engagement.

Ballast Eine Herausforderung, die uns nun schon länger begleitet, ist das Thema Pflege. Unsere Gesell­schaft wird älter, aktuelle Prognosen gehen allein durch die zunehmende Alterung bereits für das Jahr 2035 von rund 5,6 Millionen Pflegebedürf­tigen aus, für das Jahr 2055 von 6,8 Millionen. Neben der sehr wichtigen politischen Frage der zukünftigen Fi­nanzierung der Pflege, steigt natür­lich auch derzeit schon die Zahl der Betroffenen, die durch die TK-Pfle­gekasse betreut werden. Hinzu kom­men viele gesetzliche Änderungen in diesem Bereich, die vermehrte Bera­tung erfordern. Darauf haben wir uns eingestellt, Prozesse angepasst und auch mehr Kapazitäten geschaf­fen, um hier für die Zukunft gut auf­ gestellt zu sein.

Walkenhorst Das Thema verdeut­licht gut, wie wichtig es ist, als Unternehmen flexibel zu sein, um schnell auf veränderte Bedingungen reagie­ren zu können. Diese Haltung brau­chen wir auch, um uns auf die Arbeits­welt 4.0 einzustellen. Viele von uns erfahren derzeit, wie schnell sich un­ser Arbeitsleben verändert und dass dies Chancen, aber eben auch Her­ausforderungen mit sich bringt. Wir können uns besser vernetzen und ortsunabhängig miteinander arbeiten, gleichzeitig darf der persönliche Austausch nicht verloren gehen. Hier sind wir wie viele Unternehmen auf dem Weg, diesen Wandel aktiv zu ge­stalten und die neuen Möglichkeiten bestmöglich zu nutzen. Wie das The­ma Pflege ist dies eine Herausforde­rung, die uns weiter begleiten wird.

„Wir können uns besser vernetzen und ortsunabhängig miteinander arbeiten, gleichzeitig darf der persönliche Austausch nicht verloren gehen. Hier sind wir wie viele Unternehmen auf dem Weg, diesen Wandel aktiv zu gestalten und die neuen Möglichkeiten bestmöglich zu nutzen.“

Karen Walkenhorst, Mitglied des Vorstands der TK

Worauf sind Sie – mit Blick auf das Jahr 2022 – besonders stolz?

Baas Die Situation der gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt ist derzeit alles andere als einfach. Auch weil in den vergangenen Jahren in der Politik der Mut zu grundlegen­den Reformen fehlte. Hinzu kam eine sorglose Ausgabenpolitik, die dazu führt, dass das GKV­-System insgesamt mit Finanzierungsdefiziten zu kämp­fen hat. Mit Blick auf die TK können wir dennoch sagen – und das sieht man auch in den Ergebnissen dieses Geschäftsberichts: Wir sind dank un­serer soliden Finanzplanung und unserer schlanken Prozesse auch un­ter herausfordernden Rahmenbedin­gungen sehr gut aufgestellt. Sehr stolz sind wir auch darauf, dass seit Sommer 2022 mehr als elf Millionen Menschen bei der TK versichert sind.

Walkenhorst Diese Marke zu kna­cken, war natürlich eine tolle Bestätigung für unsere Arbeit und zeigt, dass wir viele Menschen mit unserem Service und unserem innovativen Leistungsangebot überzeugen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Verän­derungsbereitschaft unserer Mitar­beitenden. Das ist eine Stärke, die uns bereits in der Pandemie sehr geholfen hat. Diesen Weg wollen wir weiterverfolgen, denn auch künftig brauchen wir viel Flexibilität, Offen­heit für Neues und Mut zur Veränderung.

Was heißt das für die Versicherten?

Ballast So entstehen Innovationen. Das zeigt zum Beispiel unsere TK­-Doc-­App. Bereits zu Beginn der Pan­demie konnten Versicherte eine voll digitalisierte Fernbehandlung nut­zen. Das Angebot haben wir im ver­gangenen Jahr weiter ausgebaut, mittlerweile enthält die App auch ei­nen Symptom­-Checker, der mithilfe von künstlicher Intelligenz die Be­schwerden einordnet. Uns ist wich­tig, Kundinnen und Kunden einen echten Mehrwert zu bieten. So ha­ben wir erfolgreich mit zwei Projekt­partnern die elektronische Versi­chertenbestätigung für Hebammen entwickelt. Die Kundinnen brauchen dabei Leistungen ihrer Hebammen nicht mehr auf Papier zu bestätigen, sondern können das mit einem Klick per Smartphone tun. Die Hebammen können dann alles digital bei uns ein­reichen und ersparen sich damit viel Papierkram – das ist viel schneller und komfortabler und auch besser für die Umwelt. Der digitale Prozess hat überzeugt, sodass im Herbst drei weitere große Kassen dem Projekt beigetreten sind. Der nächste Schritt ist jetzt die Ausweitung auf andere Leistungsbereiche.

Thomas Ballast, stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der TK

Stichwort Veränderungsbereitschaft – wo brauchen wir die mit Blick auf das gesamte Gesundheitssystem?

Baas Wir haben aktuell drei zentrale Baustellen, wo starke Veränderungs­bereitschaft gefordert ist: Sowohl bei der Krankenhausreform als auch bei der Finanzierungsfrage und der Digitalisierung benötigen wir ein Umdenken hin zu dem Leitmotiv: Wie kriegen wir die beste Lösung für die Patientinnen und Patienten hin? Bei der Krankenhausreform darf das Ziel einer besseren, den tatsächlichen Bedarfen entsprechenden Versor­gungsstruktur nicht aus dem Blick geraten. Bei der Digitalisierung müs­sen wir endlich die Chancen für die Versicherten in den Mittelpunkt stel­len, statt um Hürden und veraltete Strukturen herum zu planen, und die Finanzierung von Gesundheit muss langfristig gesichert werden.

Dr. Jens Baas, Vorsitzender des Vorstands der TK

Was muss konkret passieren?

Walkenhorst Bei der Finanzierung brauchen wir eine faire Lastenvertei­lung. Da sind wir wieder beim Thema Augenhöhe. In den vergangenen Jahren ist eine deutliche Schieflage zulasten der Beitragszahlerinnen und ­-zahler entstanden, die vor al­lem durch höhere Beiträge die poli­tisch gemachten Löcher in der GKV stopfen und die Belastungen damit Schultern sollen. Das kann so nicht weitergehen. Unter anderem muss der Staat endlich auskömmliche Bei­träge für Empfängerinnen und Emp­fänger von Bürgergeld zahlen – ak­tuell zahlt er viel zu wenig, nur etwa ein Drittel der benötigten Summe. Es ist nicht gerecht, dass die Beitrags­zahlerinnen und -zahler hier eine fi­nanzielle Aufgabe übernehmen, die ganz klar beim Staat liegt.

Ballast Bei der Krankenhausreform – dem politischen Mammutprojekt dieser Legislaturperiode – wird ganz konkret mehr Qualität in der Versor­gung und eine konsequentere Aus­richtung am tatsächlichen Bedarf benötigt. Eine solche Strukturverän­derung ist nicht einfach und ruft na­türlich Widerstände hervor. Das darf die Politik aber nicht zum Weg des geringsten Widerstands verleiten.

Baas Wir brauchen verbindliche und klare Qualitätskriterien für die Versorgung. Patientinnen und Pati­enten müssen sich darauf verlassen können, dass, wenn eine Klinik eine Behandlung anbietet, auch die not­wendige Expertise vorhanden ist. Und die Beitragszahlerinnen und -­zahler müssen sich darauf verlas­sen können, dass sie ausschließlich bedarfsnotwendige Strukturen finan­zieren. Diese Ziele dürfen wir nicht verwässern, denn so schnell wird es keine weitere Reform geben. Diese Chance darf nicht vertan werden.