Ein Mädchen mit langen dunklen Haaren und in einem Jeanshemd hält mit den Händen an der Stirn den Kopf und blickt nach unten.

Krisenhilfe per Chat

Das Online-Hilfsangebot „krisenchat“ berät junge Menschen zu psychosozialen Fragen.

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Vom jungen Start-up zum größten psychosozialen digitalen Beratungsangebot für junge Menschen in Deutschland: „krisenchat“ ist ein Online-Hilfsangebot für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis 25 Jahre. Die Beratung erfolgt durch professionelle, vorwiegend ehrenamtliche Beraterinnen und Berater ausschließlich per Chat, rund um die Uhr, kostenlos und vertraulich.

Elias Jessen, Projektverantwortlicher bei krisenchat

Elias Jessen

Projektverantwortlicher bei „krisenchat“.

„krisenchat“ ist noch ein sehr junges Unternehmen. Was war der Auslöser, dieses Beratungsangebot 2020 zu gründen?

Elias Jessen Während des ersten Corona-Lockdowns hat sich schnell gezeigt, wie belastend die Situation für Kinder und Jugendliche war. Allerdings passten die Hilfsangebote, die es damals gab, nicht in die Lebenswelt der jungen Leute. Es gab eine echte Versorgungslücke. Das war damals der Anlass für unsere drei Gründer, ein möglichst niedrigschwelliges Beratungsangebot zu entwickeln. Die drei hatten gerade ihr Abi gemacht und waren daher noch sehr nah an der Lebenswelt der Jugendlichen dran. So entstand die Idee, per Chat zu beraten. Das ist das Medium, das die meisten Jugendlichen nutzen. Die Nachfrage war enorm und hält bis heute an.

70.000

Hilfesuchende gab es seit der Gründung 2020.

4.500

beträgt die Anzahl der Hilfesuchenden pro Monat.

Die Beraterinnen und Berater haben alle einen psychologischen oder sozialpädagogischen Hintergrund. Wie läuft eine Beratung bei „krisenchat“ in der Praxis ab?

Jessen Wir beraten professionell und leitliniengerecht. Wichtig ist es, mit den Jugendlichen ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Mehr als die Hälfte der Hilfesuchenden hatte bis dahin noch mit niemandem über ihr Problem gesprochen! Wir spiegeln ihnen, dass es sehr mutig ist, sich Hilfe zu holen. Gemeinsam versuchen wir dann, einen Weg zu finden, wie sie in der realen Welt Unterstützung erhalten. Die Bandbreite der Beratungsthemen ist groß: Es geht um Ängste, suizidale Gedanken, Gewalt in der Familie, Depressionen und auch Themen wie Cybermobbing oder sexualisierte Gewalt. Unsere Beraterinnen und Berater werden dabei intensiv von uns begleitet und nehmen regelmäßig an Supervisionen mit ausgebildeten Psychologinnen und Psychologen teil.

„Nur 16 Prozent der Hilfesuchenden sind männlich.“

Elias Jessen, Projektverantwortlicher bei „krisenchat“

Wo liegt der Schwerpunkt in der Zusammenarbeit mit der TK?

Jessen Generell ist es so, dass immer noch eher Frauen als Männer Hilfs- und Gesundheitsangebote nutzen. Das zeigen auch unsere Zahlen: Nur 16 Prozent der Hilfesuchenden bei „krisenchat“ sind männlich. Das heißt nicht, dass männliche Personen weniger Bedarf hätten. Es zeigt vielmehr, dass sich in der Gesellschaft immer noch hartnäckig das Vorurteil vom „starken Mann“ hält, der mit seinen Problemen allein klarkommt.

Genau hier setzt unsere Kooperation mit der TK an: Wir wollen gemeinsam über mentale Gesundheit aufklären und psychische Probleme entstigmatisieren.

Frauen nutzen eher Hilfs- und Gesundheitsangebote als Männer

weiblich
80
männlich
16
divers
4

Alle Angaben in Prozent. Quelle: „krisenchat“

Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um junge Männer für das Thema psychische Gesundheit zu sensibilisieren? Und wie kommt das bei der Zielgruppe an?

Jessen Die Kernidee ist, männliche Jugendliche dort abzuholen, wo sie sich am meisten aufhalten – in der digitalen Lebenswelt. Auf Social Media gibt es viele „männliche Ballungsräume“ wie zum Beispiel Twitch, Reddit und Discord. Dort klären wir über mentale Gesundheit auf, ganz spielerisch im Umfeld von eher männlich geprägten Themen wie Gaming, Rap oder Sport. Wir haben zum Beispiel einen eigenen Kanal auf Twitch. Dort versuchen wir nicht, von außen die Welt zu erklären, sondern sind Teil der Community, zocken gemeinsam und sprechen ganz nebenbei auch über mentale Gesundheit. Die Resonanz ist sehr positiv. Pro Stream auf Twitch erreichen wir mittlerweile regelmäßig 200 bis 300 Menschen. Auf Reddit haben wir 1,5 Millionen Ansichten.

Junge mit Locken in grauer Jogginghose und schwarzem Pullover hält ein Handy in der Hand und blickt mit einem ausdruckslosen Gesicht auf das Handydisplay.
Der Großteil der Hilfsangebote von „krisenchat“ richtet sich an die männliche Zielgruppe.
14

Jahre ist die Altersgruppe, die am häufigsten Hilfe bei „krisenchat“ sucht.

7

betrug das Alter des jüngsten Hilfesuchenden.

Was sind die nächsten Pläne?

Jessen Der Bedarf an psychosozialer Beratung für Kinder und Jugendliche ist ungebrochen hoch. Wir müssen immer noch knapp 30 Prozent aller Hilfesuchenden vertrösten. Daher ist es wichtig, unser Beratungsangebot noch weiter auszubauen. Auch wollen wir uns stärker politisch einbringen. Kinder haben bis dato keine Lobby. „krisenchat“ versteht sich als Sprachrohr der Kinder und Jugendlichen. Es gibt kaum eine andere Organisation in Deutschland, die einen so großen Einblick in die Sorgen und Nöte der Jugendlichen hat wie wir. Dieses Wissen und unsere Ideen wollen wir politisch nutzen, um eine langfristige Verbesserung der mentalen Gesundheitsversorgung in Deutschland zu erreichen.